Luxus – nur Protz und Prunk? Zur Globalgeschichte des Luxus von der Antike bis zur Gegenwart

Luxus – nur Protz und Prunk? Zur Globalgeschichte des Luxus von der Antike bis zur Gegenwart

Organisatoren
Elisabetta Lupi / Jonathan Voges, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.02.2020 - 15.02.2020
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Vater, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover

Im Februar 2020 fand in Hannover der epochenübergreifend angelegte Workshop zum Thema Luxus statt. Das Programm der Konferenz – ursprünglich mit stärkeren globalen Bezügen angelegt – musste aufgrund der kurzfristigen Erkrankung mehrerer Referentinnen leicht abgeändert werden. Dadurch ergab sich die Möglichkeit zu sehr großzügigen Zeitfenstern für die Diskussion der einzelnen Vorträge und zu ausführlichen Kommentaren, welche die Erträge und Perspektiven jeweils mehrerer Vorträge noch einmal gezielt zusammen in den Blick nahmen, auch um dem Ziel des Workshops gerecht zu werden, über den Tellerrand der eigenen Forschungsbereiche hinaus zu sehen und althergebrachte Forschungstraditionen und -konzepte kritisch zu hinterfragen. Der Begriff ‚Luxus‘ wurde dabei aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, wobei sich immer wieder sowohl Kontinuitäten als auch Brüche von der Antike bis zur Gegenwart zeigten. So stellten Kleidung, Schmuck, Speisen und Bauten über die Zeit hinweg wesentliche Foren dar, um Luxus zu artikulieren. Dabei spielen Sichtbarkeit und die jeweiligen Akteure sowie Adressaten eine entscheidende Rolle, da Luxusdiskurse als kommunikative Akte zeit-, orts- und kulturgebunden sind. Luxusgüter und -praktiken ergeben deshalb ebenso wie Luxuskritik nur innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens Sinn. So setzt einerseits das Erkennen von Luxusgütern bestimmte gemeinsame Sehgewohnheiten voraus, andererseits ist die Kritik jener Personen, die außerhalb der jeweiligen evaluierenden Gruppe stehen, irrelevant, während den eigenen Standesgenossen gegenüber ein bestimmter Habitus an den Tag gelegt werden muss, um die nötige Akzeptanz zu erreichen.

Den Auftakt des Workshops bildete im schönen Ambiente des Museums Wilhelm Busch ein Grußwort von BEATE WAGNER-HASEL (Hannover), die kurz erste Luxusdefinitionen und -felder anschnitt, welche im Verlauf der nächsten Tage weiter ausgebaut und differenziert wurden. Daran anschließend verband der Abendvortrag von JAN MEISTER (Bern) eine Einführung in die althistorische Forschungsgeschichte zu „Luxuskritik und antiker Demokratie“ mit allgemeinen Interpretationsmustern seit dem 18. Jahrhundert. Ausgangspunkt war hier die Frage, wieso Luxuskritik und Demokratie in der Forschung immer wieder in einen Zusammenhang gestellt wurden, der sich so aufgrund der Quellen nicht nachweisen lässt. Jan Meister zeigte, dass die jeweiligen Forschungsinterpretationen eher aus tagespolitisch aktuellem Denken resultierten, als auf Quellenstudien. Zugleich regte er dazu an, die seit langem etablierten und von vielen Gelehrten tradierten Denkstrukturen noch einmal kritisch zu hinterfragen und neue Interpretationsansätze auszuprobieren, um so möglicherweise besser als bisher historische Quellen erklären zu können.

Den erste Tagungstag eröffneten ELISABETTA LUPI (Hannover) und JONATHAN VOGES (Hannover) mit einer epochenübergreifenden Einleitung, die eine Reihe von Leitfragen für den folgenden Workshop stellte und einige einflussreiche Konzepte wie etwa Thorstein Veblens „conspicuous comsumption“ und „conspicuous waste“ einer dem Müßiggang nachgehenden Klasse, „leisure class“, aufgriff. Grundlegend ist auch Sombarts Definition von Luxus als „Aufwand, der über das Notwendige hinaus“ geht. Beide Konzepte sind an modernen Lebensverhältnissen entwickelt worden. Während des Workshops wurde kritisch hinterfragt, ob eine Übertragung auf andere Epochen und Gesellschaften überhaupt zulässig sei, zumal sie auch eine Reihe von Problemen aufwerfen. Neben der Verwendung des Begriffs Luxus (Quellenbegriff oder moderne Projektion?) betrifft eine der wichtigsten Frage die Funktion von Luxusdarstellung und -kritik bezogen auf die jeweiligen Akteure. Die Relativität von Luxus ist dabei unzweifelhaft, jedoch ist nur schwer zu greifen, wo genau Luxus in welcher Situation anfängt. Was wird in welchem Zusammenhang als „notwendig“ oder „normal“ angesehen und was geht darüber hinaus? Wann ist Luxus noch erlaubt und akzeptiert und ab welchem Umfang schlägt die Reaktion der Rezipienten warum in eine Kritik um? Diese und viele weitere Fragen gaben Impulse für spätere Diskussionen und wurden auch in den Vorträgen immer wieder aufgegriffen.

Dass selbst überbordender Genuss nicht per se als schlecht angesehen werden muss, verdeutlichte der erste Vortrag der Antikensektion, in dem ANABELLE THURN (Freiburg) an die etymologischen Wurzeln des heutigen Begriffs Luxus (lat. „luxuria“) erinnerte. Anhand von Ciceros Reden untersuchte sie Luxuskritik als politische Diffamierungsstrategie. Den Ausgangspunkt bildete die Beobachtung, dass zwar privater Überfluss als negativ wahrgenommen, ostentativ zur Schau gestellter Luxus im öffentlichen Bereich dagegen vielfach als legitim angesehen wurde. Ein Spannungsfeld ergab sich daraus, dass zum einen ein gewisses Maß an Luxusdarstellung zur Artikulierung eines bestimmten Status nötig war, auf der anderen Seite ein Übermaß an Genusssucht mit Charakterschwächen wie Unbeherrschtheit und Verschwendung assoziiert wurde. Daher kritisieren antike Diskurse vor allem nonkonformes Verhalten von politischen Funktionsträgern, die zugleich eine moralische Vorbildrolle zu erfüllen hatten.

Im zweiten Vortrag stellte BERIT HILDEBRANDT (Hannover / Kopenhagen) infrage, ob der Konsum reicher Freigelassener in der Antike mit modernen Zuschreibungen wie „vulgär“, „schlechtem Geschmack“ oder „leerer Imitation“ zu fassen sei. Die damit einhergehende Suggestion einer einseitigen Nachahmungsbeziehung elitärer Praktiken, die zumeist in modernen Diskursen zusätzlich als nicht erfolgreich gelte, sei problematisch. Beruhend auf Henrik Mouritsens „Statusdissonanz“ 1 zeige sich vielmehr, dass gerade der große Reichtum von Freigelassenen die Hierarchie störe, weil er sozial niedrig Stehenden einen Lebensstil erlaube, der zum Teil sogar jenen der herrschenden Elite übertraf. Gefährlich wurde dieses Ungleichgewicht, wenn die „Trendsetter“ dank ihrer Beziehungen zum Kaiser realen politischen Einfluss erlangten, der Freigelassenen eigentlich nicht zustand. Antike Schmähungen und Diskurse über das Luxusgebaren von Freigelassenen spiegeln genau diese Angst der Elite vor politischer Konkurrenz wider.

Am Ende der Antikensektion stellte GUNNAR SEELENTAG (Hannover) mit dem frühen Kreta die maßgebliche antike Studie zur bewussten Austerität einer Gemeinschaft vor. Während sich andere griechische Gemeinschaften derselben Zeitstellung durch ostentative Zurschaustellung von Reichtum und Luxus auszeichneten, gibt es in den archäologischen Befunden Kretas einen Abbruch der materiellen Kultur, ohne dass dieser mit einem wirtschaftlichen Niedergang erklärt werden kann. Offenbar, so bestätigen auch die umfangreichen inschriftlichen Befunde, bildete sich eine Gruppe von Individuen heraus, für die ein Zusammenschluss und Verzicht ostentativen Konsums von Vorteil war. Durch Kooperation festigte diese Gruppe dauerhaft ihre Macht mithilfe einer Homogenisierung nach innen und eines Abschlusses nach außen. Die so eingesparten Ressourcen kamen als „Monopolgewinne“ direkt diesem „Kartell“ zugute.

Die zweite Sektion „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ eröffnete THOMAS ERTL (Berlin) mit einem Vortrag zu bürgerlichem Luxus als Strategie der sozialen Distinktion. Innerhalb der hoch diversifizierten städtischen Gesellschaft (von Patriziern bis zu Tagelöhnern) bildeten die Bürger zwar eine relativ homogene Gruppe, allerdings verfügten auch sie über Schichtungen, die immer mit bestimmten Privilegien und Verboten verbunden waren (z.B. Kleiderordnungen). Ziel des ostentativen Konsums war sowohl die Annäherung an den Lebensstil von Patriziern und Adel als auch demonstrative Abgrenzung von sozial unterlegenen Gruppen. Hinzu kam im Mittelalter eine moralisch-religiöse Komponente, da luxuria im Christentum eine Todsünde ist. Luxuskritik ist in den Diskursen somit immer eine Fremdzuschreibung, die zur Diffamierung von Gegnern Verwendung fand.

WOLFGANG WÜST (Erlangen-Nürnberg) führte mit seinem Beitrag kreative Strategien des früh-neuzeitlichen Landadels vor, mit knappem Budget ein repräsentatives, standesgemäßes Hofleben zu gewährleisten. Hierfür übernahmen etwa Diener des Augsburger Hochstifts aus finanziellen Gründen oft mehrere Funktionen, spielten als Musiker am Abend und stellten tagsüber die Hofverwaltung sicher. Zum Teil wurden auch Ehrenpositionen, die Mindermächtige näher an die jeweilige Herrschaft gebracht hätten, abgelehnt, weil Umzug und Hofhaltung an einem anderen Ort die optimierte Verwaltung und Logistik vor große Probleme mit finanziellen Einbußen gestellt hätten. Der zur sozialen Distinktion so wichtige ostentative Konsum stellte also gerade finanziell weniger potente Adlige vor enorme Probleme, welchen sie durch sehr individuelle und kreative Einzellösungen zu begegnen wussten.

In ihrem anschließenden Kommentar zur Sektion konkretisierte MICHAELA HOHKAMP (Hannover) die Lebensverhältnisse mit dem frühneuzeitlichen Begriff der „Hausnotdurft“, die jedem Haushalt ein „standesgemäßes“ Auskommen zubilligte, was noch einmal betont, dass Luxus ebenfalls als eine Strategie zur Distinktion eingesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach Personal und verfügbarer Arbeitskraft zu stellen. Während bisher vor allem Konsum und Darstellung von Luxusprodukten im Mittelpunkt standen, ermöglichten Fragestellungen zu Arbeitskraft und Produktionsweise neue Sichtweisen.

In der letzten Sektion des Tages, „Zeitgeschichte 1“, stellte BENEDIKT TONDERA (Oldenburg) eine kurze Abhandlung des sowjetischen Auslandstourismus seit den 1950er-Jahren vor. Während anfangs vor allem die Repräsentation des sowjetischen Staatssystems im kapitalistischen Westen im Mittelpunkt stand, verschoben sich die Prioritäten, sodass in den 1970er- und 1980er-Jahren Erholungspausen zunehmend ins Programm aufgenommen wurden. Aufgrund ihrer schwachen Kaufkraft wurden sowjetische Reisende oft als Touristen zweiter Klasse angesehen und verpflegt, weshalb weniger die Reisen selbst als vielmehr die mitgebrachten Souvenirs mit ihrer exotischen Aura als Luxus(güter) wahrgenommen wurden, aus denen sich in der Heimat (Prestige)Vorteile ziehen ließen. Im anschließenden Kommentar zog BRIGITTE REINWALD (Hannover) einige Linien vom vorangegangenen Vortrag zu frühen Kulturkontakten der Europäer nach Afrika, um so die globalhistorische Perspektive auszuweiten.

Am zweiten Tagungstag eröffnete EVA MARIA GAJEK (Gießen) die Sektion „Zeitgeschichte 2“ mit einem Beitrag zum Verhältnis von Luxus und Visualität im 20. Jahrhundert. Verschiedene Fotografien zeigen, dass es beim Betrachten von Luxusgütern vor allem auf die im Kopf entstehenden Bilder und Geschichten ankommt. Der jeweilige Zusammenhang, in dem Bilder präsentiert werden, beeinflusst dabei sowohl die Wahrnehmung zeit- und ortsgebundener Luxuspraktiken und Lebensstile als auch deren jeweilige Bewertung. Dass Luxus meist mit Reichtum in Verbindung steht – manchmal jedoch auch fälschlicherweise – machte Gajek am Beispiel der Hochstapler Georges Manolescu und Anna Sorokin deutlich. Die ostentative Zurschaustellung von Luxus kann auch die (nicht vorhandenen) finanziellen Mittel verschleiern, solange die entsprechenden Personen sich in einer exklusiven Gemeinschaft angemessen zu bewegen wissen. So lässt sich aus der Beherrschung bestimmter Praktiken soziales Kapital schlagen.

Ähnliches zeigte GERRIT HOLLATZ (Hannover) für den 1918 abgesetzten deutschen Adel am Beispiel aufwändig gepflegter Jagden der Welfen. Trotz finanzieller Schwierigkeiten wurden prunkvolle Jagden als „notwendiger“ Luxus beibehalten; Schmuck, Tafelsilber und Immobilien dagegen verkauft. Diese Praxis sicherte durch Tradierung der althergebrachten Hierarchisierungen und Pflege früherer Beziehungen ein „dynastisches Überleben“ (Torsten Riotte). So wurden die Welfen in den Augen der regierenden Adelshäuser Europas als gleichberechtigt wahrgenommen und konnten im Falle einer politischen Restauration den Anspruch auf frühere Herrschaftsbereiche durchzusetzen hoffen. Die Erkenntnisse und Perspektiven beider Vorträge bündelte Jonathan Voges noch einmal in einem Kommentar.

Im nachfolgenden Schlusskommentar zog BEATE WAGNER-HASEL (Hannover) einige große Linien zu den Kontexten, in denen sich der Luxusdiskurs in unterschiedlichen Zeiträumen bewegte, sowie zu den Luxusbegriffen und Gegenständen des Luxuskonsums und verwies abschließend auf einige Desiderate, zu denen es nicht zuletzt aufgrund der krankheitsbedingten Absage von einigen Referenten gekommen war. Dazu zählt die Geschlechterperspektive, die gerade im Zusammenhang von Kleiderregeln relevant ist. Während in den Vorträgen die Konsumperspektive sowie die Darstellung und Sichtbarmachung von Luxus sehr stark gemacht wurde, kam nach Wagner-Hasel dagegen die Rolle der Produzenten von Luxusgütern zu kurz. Eine breite globale Perspektive ließe sich mit Fragen nach Traditionen und dem Empfinden von Exotik sowie der Einbeziehung anderer Kontinente eröffnen.

Der Workshop hat damit gezeigt, wie viele Kontinuitäten zum Themenfeld Luxus über die Epochen hinweg zu finden sind. So ziehen sich die traditionellen Luxusgüter (Kleidung, Schmuck, Speisen, Bauluxus) durch alle Zeiten. Dennoch hatte jede Epoche auch ganz eigene Praktiken und Symbole, die nur in ihrem jeweiligen Kontext verständlich sind. Ein transepochaler Workshop öffnet somit weitere Perspektiven für die jeweiligen Forschungsfelder, regt zum Überdenken der etablierten Konzepte und zu einem veränderten Blick auf die jeweiligen Quellen an. Dass mit diesem Workshop noch nicht alles gesagt wurde, machen die genannten Desiderata deutlich. Hier ließe sich anknüpfen und weiter diskutieren, um neue spannende Perspektiven des großen Feldes Luxus auszuloten.

Konferenzübersicht:

Beate Wagner-Hasel (Hannover): Einführung

Abendvortrag
Jan Meister (Bern): Luxuskritik und antike Demokratie

Elisabetta Lupi / Jonathan Voges (Hannover): Begrüßung und Einführung

Sektion 1: Alte Geschichte
Moderation: Elisabetta Lupi (Hannover)

Anabelle Thurn (Freiburg): Luxuria als Argument der Diffamierung im antiken Rom

Berit Hildebrandt (Hannover / Kopenhagen): Vulgäre Imitatoren oder Trendsetter? Antike und moderne Diskurse um den Luxus der Freigelassenen

Gunnar Seelentag (Hannover): Das Kartell. Austerität im archaischen Kreta

Sektion 2: Mittelalter und Frühe Neuzeit
Moderation: Michael Rothmann (Hannover)

Thomas Ertl (Berlin): Bürgerlicher Luxus im späten Mittelalter

Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Luxus macht erfinderisch – Ökonomische Zwänge und Repräsentationsverpflichtung unter Mindermächtigen im Alten Reich. Fallstudien zu Süddeutschland

Kommentar: Michaela Hohkamp (Hannover)

Sektion 3: Zeitgeschichte 1
Moderation: Hinnerk Onken (Hannover)

Benedikt Tondera (Oldenburg): Luxus nach Plan? Der sowjetische Tourismus als Beispiel gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse über das "gute Leben" im Staatssozialismus

Kommentar: Brigitte Reinwald (Hannover)

Sektion 4: Zeitgeschichte 2
Moderation: Jonathan Voges (Hannover)

Eva Maria Gajek (Gießen): Der ewige Widersacher der Gleichheit: Luxus und Visualität

Gerrit Hollatz (Hannover): Vom Luxus des Hochadels im 20. Jahrhundert

Kommentar: Jonathan Voges (Hannover)

Abschlusskommentar

Beate Wagner-Hasel (Hannover)

Anmerkung:
1 Henrik Mouritsen, The Freedman in the Roman World, Cambridge 2011, S. 111.